Da Nicht-Konzertgänger Jonathans Eintrag möglicherweise mit blankem Unverständnis begegnet sind, von seiner äußeren Erscheinung und dem etwas scheppen Klang seiner Stimme abgelenkt und auch sonst über die Wahrheit seiner Worte hinweggetäuscht, folgt hier nun eine rein buchstäbliche Konzertbeschreibung von Ey Lou Flynn, die es übrigens aber so oder so gegeben hätte, wofür ich mich in unserem Namen äußerst bedanke.
Tonträger am 17.05.08 live im SO36
Konzertbericht von Ey Lou Flynn
Für viele musikbegeisterte Berliner gestaltete sich der Gang zum Tonträger-Konzert an diesem Abend so klassisch, wie der Besuch eines echten Rock ’n‘ Roll-Gigs nur verlaufen kann:
Mitten durch die Menschentraube, die vorm SO36 lungerte, um den Auftritt zu verpassen, vorbei an der Abendkasse, kurz aufgehalten von einer halbherzigen Taschenkontrolle und schnell rechts ab zur Garderobe, wo man einen Euro investieren und sich dafür beim Tanzen Jacke und Handgepäck ersparen konnte. Von da an ging es nur noch geradeaus, zehn eilige Schritte durch den atmosphärisch heruntergekommenen Korridor, durch die letzten beiden Eisentüren und dann immer dieser unglaublich schwungvollen Musik entgegen durch die abgedunkelte Halle, bis zur Bühne, auf der die Band dem Publikum gerade den Song „Meine Gitarre“ entgegen schmetterte.
Hier gab es nämlich kein lästiges Gedränge, keinen überfüllten Veranstaltungsraum, keine Wartezeiten, keine Verzögerung durch ungebetene Vorbands (die spielten erst hinterher), nur eine kompakte halbe Stunde Tonträger Berlin, die wahrscheinlich für alle viel zu schnell vorbei ging. Der Vollständigkeit halber eine ganz kurze Erklärung, warum das alles so lief:
Am 17. Mai 2008, von dem ich hier berichte, fand im SO36 in Berlin-Kreuzberg für acht hoffnungsvolle Bands das Halbfinale im alljährlichen Emergenza-Turnier statt. Ab 20 Uhr und bis tief in die Nacht hinein spielte jede Gruppe etwa 30 Minuten so gut es eben ging, zwei Bands würden am Ende ins Finale einziehen, sechs würde man in Schimpf und Schande davon jagen. Das Publikum entschied nach jedem Auftritt per Handzeichen, wer weiter kommen durfte, die Bands mit den meisten Stimmen qualifizierten sich für die Endrunde. Ein ausgesprochen demokratisch und fair gemeintes System, das aus noch zu nennenden Gründen im Laufe des Abends zu einer Diktatur reiner Willkür mutieren sollte. Nur eine Revolution geballter Musikalität würde in der Lage sein, hier noch einmal alles zum Guten zu wenden, was mich wieder zurück zum Konzert bringt.
Wegen fünfminütiger Verspätung hatte ich leider „Revolution, okay?“ verpasst und ich schätze, dass mir bereits mit diesem ersten Titel der Tonträger-Setlist ein absoluter Knüller entgangen ist. Als „Meine Gitarre“ angestimmt wurde und auch ich endlich anwesend war, befand sich das Publikum jedenfalls schon in Tanzlaune und Jonathan (Bass/Gesang) sorgte für zusätzliche Begeisterung, als er eine Textstelle vergaß und sie mit breitem Grinsen durch eine „La la la, und so weiter…“-Improvisation ersetzte.
Richtig heftig ging es danach tanztechnisch mit dem besonders fetzigen Tonträger-Hit „Brüste“ zur Sache. Während der ersten Strophe gelang es Johannes (Gitarre, Klavier/Gesang), sich für die begeistert kreischenden Frauen im Raum auszuziehen, ohne sich dabei auszuziehen – dieses Bandritual hatte ich früher bereits in einem Video bewundert, nur habe ich bis heute keinen Schimmer, wie er diesen verblüffenden Trick bewerkstelligt. Im Refrain trat ich meinem Hintermann zum ersten Mal auf die Füße und nicht nur im Publikum, sondern auch auf der Bühne selbst herrschte so viel Bewegung, wie es Instrumente und Mikrofone zuließen.
Einzig Daniel (Drums) konnte während der Songs verständlicher Weise nur wenig umherspringen, dafür im Laufe des Konzerts aber durch gelungen in die Songs eingebundene Schlagzeugsoli auf sich aufmerksam machen. Und natürlich spürten wir alle seine Bassdrum in uns pulsieren, timingfest und ausgesprochen angenehm! Angenehm war auch die Lautstärke des Auftritts an sich, denn die Tonträger waren als einzige Band des Abends nett genug, ihre Fans nicht mit gesundheitsgefährdendem Schallpegel zu quälen.
Im Laufe des Sets folgten mit „Mädchen“ und „Weg zu Dir“ noch zwei neuere Werke, außerdem „Etwas Sonne“ – der gut gelaunte Sommer-Song samt unübertrefflichem Zungenbrecher-Refrain und „Liebe Ist Schön“, die Trennungsballade mit blutrünstigem Ausgang. Es gab haufenweise Gelegenheiten zum wild Herumspringen, sehr viel Text zum auswendig Mitsingen, schnelle Takte zum holprig Mitklatschen und absolut keine Zeit, zwischendurch auf Toilette zu gehen. Dargeboten wurde das alles in einwandfreiem Live-Sound und farbenfroher Scheinwerferbeleuchtung, die Crew vom SO36 kann ich also auch sehr loben. Optisches Highlight und Ãœberraschung des Abends war für mich persönlich aber der gewagte halbe Bart von Lennart (Gitarre, Klavier), schon allein, weil ich damit jetzt alle vier Tonträger namentlich erwähnt habe.
Als die Band zu ihrem letzten Song „Rock ’n‘ Roll Lady“ ansetzte, waren endgültig alle in Bewegung, außer Rand und Band, maßlos entzückt und völlig durchgedreht (zum Glück gelang es den nachfolgenden Bands kurz darauf bereits mit wenigen Akkorden, für Ordnung zu sorgen und das tanzwütige Publikum wieder mit beiden Beinen am Boden festzunageln). Nachdem die Tonträger ihren Abschlusssong auf originellste Art beendet hatten, grölten die Fans bereits nach Zugaben, doch das Emergenza-Team kannte kein Erbarmen und forderte zur Stimmabgabe auf. Von etwa 120 anwesenden Personen erhielten die Tonträger insgesamt 115 Stimmen, wobei man noch berücksichtigen muss, dass ein Gast im Publikum zwei gebrochene Arme hatte und daher kein Handzeichen geben konnte, während vier weitere Zuhörer in ihrer ekstatischen Begeisterung gleich beide Arme gehoben hatten, was leider verboten war.
Die nächsten vier Stunden verliefen etwas weniger spannend als der furiose Start. Es spielte eine Band nach der anderen und sie klangen immerhin fast alle sehr… nett! Sicher hätten sie es allesamt verdient, das heiß ersehnte Finale zu erreichen – die einen mehr, die anderen weniger und manche auch gar nicht. Viele rechneten sich gute Chancen aus, denn das SO36 füllte sich mit der Zeit immer weiter und die Zuhörer waren gegenüber den restlichen Bands nicht geizig mit der Vergabe ihrer Stimmen, sei es aus Höflichkeit, Mitgefühl oder aus Sehnsucht nach ein bisschen Publikumsbeteiligung. Immer mehr Menschen drängten sich in den Veranstaltungsraum und strapazierten die Nerven im Tonträger-Lager. Die Jungs blieben zwar gut gelaunt, aber gegen Mitternacht nahm das Grinsen langsam ab und die gegebenen Autogramme wurden krakeliger, während die X-te Band das auf scheinbar 100.000 Köpfe angewachsene Publikum schreiend, flehend und drohend zur Stimmabgabe animierte. Hatte der Rock ’n‘ Roll dieses Mal angesichts so massiver Wettbewerbsverzerrung verloren? Durchhalteparolen und zermürbende Vorahnungen wurden ausgetauscht, Chancen ausgerechnet und Schätzungen aufgestellt. Ich entdeckte meine spirituelle Ader und versank ganz in mir selbst, um alle Befürchtungen zu verjagen und auf die Kraft von gut gespieltem Rock zu vertrauen.
Alle Bands waren aufgetreten und standen nun hoffnungsvoll zwischen dem Publikum, die gerammelt volle Halle wurde hell erleuchtet und jemand vom Emergenza-Team trat ans Mikrofon, um sich bei allen Bands zu bedanken und die beiden Sieger zu verkünden. Hinten an der Bar hielt man beim Polieren der Gläser ehrfürchtig inne, während sich alle Augenpaare nach vorne zur Bühne richteten. Beißender Zigarettenqualm und transpirierte Flüssigkeiten vernebelten den Saal, der plötzlich noch viel luftleerer zu sein schien. Einst hatten hier so großartige Bands wie die Ärzte gestanden, um ihre ersten Konzerte zu geben. Konnte heute im SO36 ein neues Kapitel Musikgeschichte geschrieben werden? Eine neue aufregende Band ins Rampenlicht der Öffentlichkeit vorrücken? Johannes, Jonathan, Lennart und Daniel standen zusammen und warteten auf die Ergebnisse. Einige Seelen im Publikum glaubten, den Ausgang des Abends durch das Rufen von Bandnamen in letzter Sekunde noch drehen zu können, doch alle Stimmen waren gezählt und der Mann am Mikro kam endlich zur Sache.
Ich weiß nur noch, wie der Satz „Mit 115 Stimmen fürs Finale qualifiziert haben sich – Tonträger!“ eine Explosion wahnsinniger Begeisterung auslöste, die den ganzen Veranstaltungsraum durchdrang und ihren Ursprung irgendwo dort gehabt haben muss, wo gerade noch die Band gestanden hatte. Imaginäre Konfetti und Luftschlangen regneten von der Decke herab und eilig eingebildete alkoholfreie Sektflaschen wurden entkorkt, um das glückliche Ende dieses Konzertabends zu zelebrieren. Im Nachhinein ist mir völlig schleierhaft, wie ich auch nur einen Moment an diesem Ausgang und dem Erfolg der Tonträger zweifeln konnte.
Und auch wenn er etwas dagegen haben sollte (Beschwerden seinerseits werde ich nicht entgegennehmen), so will ich doch den Schopf bei der Gelegenheit packen und sagen wer dieser Ey Lou Flynn ist und wo ihr in findet, er ist nämlich berühmt, was nur leider nicht so viele wissen:
Er ist Solomusiker und Gitarrist bei den epidemics, das sind Offenbachs beste, schlechteste und einzige Punkrocker und Musiker überhaupt. Er hat einen neuen Podcast, den wird er ungefähr einmal die Woche online stellen und da eine kleine Episode aus seinem Rockstarleben präsentieren. Diesen Podcast gibt es unter www.traurigewelt.de, das ist sein Blog, oder unter www.ey-lou-flynn.de, das ist seine Seite. Dort wiederum gibt es auch einen Link zu einem YouTube-Profil, dass er leider nicht auswendig weiß, das kann man dann abonnieren und dann kriegt man diesen Podcast immer per E-Mail zugesendet. Dann hat er auch noch eine MySpace-Seite, www.myspace.com/eylouflynn, seine Bänd hat auch eine MySpace-Seite, www.myspace.com/dieepidemics. Seine Bänd hat auch eine Internetseite, www.singschief.de oder auch erreichbar unter www.epidemics.de, während seine Internetseite wiederum auch erreichbar ist unter www.eylouflynn.de. Ähm… ja, das wars für heute, vielen Dank, schaut wieder rein… Tschüss!
Län